8.
Ganz entgegen meinem Sinn, war der Abend schön und die Nacht zärtlich. Fast, als hätte die Hollywood-Romanze, über die ich mich die ganze Zeit geärgert hatte, eine heimlich hypnotische Wirkung auf mich ausgeübt.
Aber das war es nicht. Es war Lena, nicht Lissy, wie ich rechtzeitig merkte, ehe ich sie ansprach, die dafür sorgte, dass mir der Abend gefiel und ich mich wohl fühlte.
Ich verstand zwar gar nicht, was ihr an mir gefiel und weshalb sie sich um mich bemühte – schloss ich die Möglichkeit aus, dass irgendwelche guten Mächte, aus irgendwelchen Himmeln, irgendwelche Engel zu Menschen schicken konnten – aber, wenn ich mir darüber keine Gedanken machte, dann war es einfach schön mit ihr. Sie war lebenshungrig, neugierig, abenteuerlustig, wie ich es war, aber auf eine viel gesündere Art. Sie plante keine Parkplatzüberfalle, sondern studierte (ich wusste noch immer nicht was). Sie stand nicht im Widerspruch zur Gesellschaft und lehnte sie ab, sie machte einfach was sie wollte und ließ gar keinen Widerspruch entstehen. Sie philosophierte nicht über eine andere, bessere Welt, sondern erkundete diese.
Außerdem war sie schlau. So schlau, dass sie mich das gar nicht die ganze Zeit wissen ließ: ich musste aufpassen, wie ein Virenwächter, bei jeder aus- und eingehenden Information, weil sie in mir las, wie in einem Buch und mich unterhielt und herausforderte, wie es ihr, für mich, richtig schien.
Aber es war schön.
Sie merkte, dass mir der Film nicht gefiel, wie ihr. Also kuschelte sie sich an mich und über ihre Nähe und Wärme vergaß ich den Film. Solange ich sie spüren konnte, war es schön. Als wir nach dem Kino, noch zu einem Italiener auf ein Glas Wein gingen, streifte sie den Film nur kurz und gab mir stattdessen Zeit, von dem zu erzählen, was mir wichtig war. Als sie merkte, dass ich genug von Nietzsche und seinen biografischen Lebenshintergründen erzählt hatte, übernahm sie ganz fließend und erzählte mir von ihrer Schwester und ihren beiden Nichten mit denen sie gerne spielte und gab mir das Gefühl der beste Zuhörer „ever“ zu sein.
Als wir aus dem Lokal, in eine milde Sommernacht traten, warf sie mir einen flüchtigen Blick zu und meinte: „Es war schön, wenn du willst –“.
„Magst du noch mit zu mir kommen?“
Ich hatte nicht beabsichtigt das zu sagen, aber ich merkte: Ich könnte mich, in dieser Nacht einsam fühlen, wenn sie nicht neben mir lag. Ich fühlte mich, wie eine vernachlässigte Tierheimkatze, die sich langsam wieder an menschliche Nähe gewöhnt und sie fast schon vermisst.
Lena sagte nichts. Sie gab mir einen flüchtigen Kuss, nahm meine Hand und so liefen wir zur Haltestelle, die uns in die Kantapfelsiedlung brachte.
Dieses Mal liebten wir uns. Also nicht, wie die Nacht davor, als zumindest ich es, als Triebabbau empfunden hatte. Wir teilten unsere Sehnsucht, wir linderten unsere Einsamkeit und für einen kurzen Moment, fühlte ich jene tiefe, ausweglose Sehnsucht, mit diesem Menschen verschmelzen zu können, befreit zu sein, von diesem Körper, der zwischen Ich und Ich, eine unüberwindliche Grenze setzte.
Dann lag sie in meinem Arm. Sie streichelte mich und ich hörte sie leise atmen.
„Lebst du gerne allein?“ Fragte sie sanft.
Ich zuckte unentschlossen.
„Ich bin es gewohnt.“
„Und deine Eltern?“
„Habe ich schon länger nicht mehr gesehen.“
Sie schwieg, als müsse sie darüber nachdenken.
„Darf ich dir sagen, was ich denke?“
Während sie sprach, spürte ich ihre Stimme auf meiner Haut.
„Das muss man immer tun.“ Antwortete ich überzeugt.
„Du kommst mir vor, wie jemand, der niemand an sich heranlässt. Aber ich glaube nicht, dass du kalt bist. Es scheint eher, als wäre deine Seele, wie eine einzige Wunde, wie eine berührungsempfindliche Wunde, die allem ausweicht, damit man ihr nicht weh tut.“
„Wow!“ Sagte ich in die Dunkelheit und kontrolliert irritiert, ob sich da Tränenflüssigkeit in meinen Augen sammelte.
„Vielleicht bin ich auch einfach nur ein Verbrecher, der Angst hat, dass man ihm auf die Schliche kommt.“
„Das wäre möglich.“
Ich spürte ihre Erregung. Sie war, wie einer dieser Menschen, die mit zwei Tigern oder drei Krokodilen da Heim leben.
„Und ich könnte die Polizistin sein, die dich auskundschaftet.“
Ich versuchte entspannt liegen zu bleiben, aber einen Moment hatte mein Atem gestockt und mein Körper an Spannung gewonnen.
„Dann würdest du aber weit für deine Ermittlungen gehen.“
„Das muss man, wenn man Menschen retten will. Die meisten muss man vor sich selbst retten. Weil – weißt du – da drin“, sie klopfte zärtlich mit dem Finger auf die Stelle meines Brustkorbs, wo sich mein Herz befindet, „da drin ist jeder Mensch gut. Da drin schlummert das Potential, dass sich nicht immer entfaltet.“
Ich zog sie etwas zu mir.
„Darf ich dir auch was sagen?“
„Ja.“
„Dann bist du, wie das Licht, damit es sich entfalten kann.“
Sie drückte sich an mich, ich spürte ihre weichen Brüste an meinem Brustkorb.
Wir schwiegen.
Und irgendwann schliefen wir ein.
05/20 PGF
so schön! habe ab Teil 2 nicht weitergelesen, aus zeitgründen, aber ich muss sagen, ich bekomme lust, das nachzuholen. 🙂
liebe grüße, d.
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Weißt du was lustig ist? Beim schreiben dachte ich, das ist ein Teil der der lieben D gefallen könnte.
Das nenne ich mal Gedankenübertragung 😘
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ach, wie schön!! 🙂
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🙂
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Jetzt stellt sich mir die Frage: ‚Rettet‘ sie ihn – oder wird aus ihnen eine Art Bonnie und Clyde?!
…bin sehr gespannt!!! 🙂
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Oder ich wähle Option 3 … 😉
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Sehr schön. Nicht übertrieben kitschig, echt.
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Danke 🙂
(Da hat der spröde Charakter für Leitplanken gesorgt.)
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So kann man es auch sagen 😉
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😎
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